Frauenbilder der 60er zwischen Love & Peace und patriarchalen Normen
Die 1960er und 70er Jahre gelten als Ära des gesellschaftlichen
Aufbruchs. Die Counterculture proklamierte Ideale von Liebe, Freiheit
und Gleichheit. Doch während Männer sich von gesellschaftlichen Zwängen
lossagten, blieben Frauen oft in alten patriarchalen Strukturen
gefangen. Die Musik dieser Zeit erzählt von Liebe und Leidenschaft, doch
zwischen den Zeilen verbirgt sich eine andere Realität: Frauen wurden
sexualisiert, kontrolliert und auf Rollen reduziert, die ihnen kaum
echte Selbstbestimmung erlaubten.
Machtgefälle werden romantisiert, Frauen als passive Objekte
dargestellt, sexuelle Ausbeutung verschleiert. Besonders verstörend:
Viele dieser Songs sind bis heute gefeierte Klassiker, ihre
problematischen Texte verborgen hinter groovigen Melodien. Ein Beispiel
für Kontrolle männlicher Dominanz welche als Romantik verkauft wird ist
Under My Thumb von den Rolling Stones. Der Song beschreibt, wie eine
Frau durch Manipulation und Kontrolle «gezähmt» wird, bis sie sich
völlig unterordnet: «Under my thumb / The girl who once had me down».
Die Erzählerstimme feiert ihren Triumph über eine Frau, die sich einst
widersetzte, nun aber nach seiner Pfeife tanzt. Die Zeile klingt
harmlos, doch die Message ist klar: Frauen müssen in ihre Schranken
gewiesen werden. In Run for Your Life von den Beatles, ist in seinen
schwungvollen Harmonien eine offene Gewaltandrohung versteckt: «I‘d
rather see you dead, little girl / Than to be with another man» John
Lennon selbst bezeichnete den Song später als einen seiner schlimmsten
Texte – doch damals wurde er ohne viel Aufhebens veröffentlicht. Der
Übergang zwischen Liebe und Besitzanspruch war in vielen Songs dieser
Zeit fließend.
Besonders erschreckend ist die wiederkehrende Darstellung minderjähriger
Mädchen als sexuelle Objekte. In Good Morning Little Schoolgirl von Ten
Years After singt Alvin Lee mit rauer Blues-Stimme: «Good morning little
schoolgirl / Can I go home with you?» Ein erwachsener Mann macht sich
hier an eine Schülerin heran. Diese Art von Erzählung findet sich in
vielen Songs – oft präsentiert als harmlose Schwärmerei, doch letztlich
eine Verschönigung von Machtmissbrauch. Auch ZZ Tops Legs spielt mit
dieser Art von Objektifizierung: «She’s got legs, she knows how to use
them». Die Frau wird hier nicht als eigenständige Person beschrieben,
sondern über ihren Körper definiert. Ihre «Fähigkeit», ihre Beine zu
nutzen, wird nicht weiter ausgeführt – aber der Subtext ist eindeutig.
Einer der problematischsten Songs dieser Ära ist Brown Sugar von den
Rolling Stones. Der Song beginnt mit einer verstörenden Zeile: «Gold
coast slave ship bound for cotton fields / Sold in the market down in
New Orleans». Was folgt, ist eine Erzählung über die sexuelle Ausbeutung
einer versklavten Frau – verpackt in einen treibenden Rocksong. Mick
Jagger selbst gab später zu, dass er den Song heute nicht mehr so
schreiben würde. Doch damals wurde er zum Hit, und viele hörten einfach
nicht genau hin.
Diese Beispiele werfen eine zentrale Frage auf: Wurde die Freiheit der
60er und 70er Jahre wirklich für alle gelebt, oder war sie nur eine
idealisierte Erzählung, in der Frauen sich einer neuen Form der
Unterdrückung fügen mussten? Die sexuelle Revolution versprach Freiheit,
bedeutete für viele Frauen jedoch vor allem neue Erwartungen und Zwänge.
Sie sollten verfügbar sein, rebellisch, aber doch gefügig –und wenn sie
sich widersetzten, erzählte die Musik ihre Geschichte oft als eine von
Niederlage und männlicher Überlegenheit. Die Songs dieser Zeit sind
längst in den Kanon der Rockgeschichte eingegangen. Sie laufen im Radio,
werden auf Partys gespielt, gelten als Hymnen einer Revolution. Doch wie
viel Revolution steckt wirklich darin? Wer genau hinhört, erkennt die
Schattenseiten einer Ära, die für viele eben nicht nur Love, Peace &
Happiness bedeutete.
Die Frage ist nicht nur, welche Geschichten damals erzählt wurden –
sondern welche wir heute noch unkritisch weitertragen. «Is this Love?» –
oder ist es an der Zeit, genauer hinzuhören?
Ein Projekt von Saskia Kühnemund. Entstanden an der HAW Hamburg im WS
2024 in den Kursen »From Grid to Grove« betreut von Prof. Heike Grebin
und dem dazugehörigen Laborkurs »From Grove to Grid« betreut von Amyra
Radwan.